Ein guter Test für die wahre Liebe sei, sagte einst Barbellion oder
jemand dergleichen, ob du den Gedanken, die Fußnägel des Geliebten zu
schneiden, ertragen könntest. Das ist in der Tat ein zitables Bild.
Fußnägel symbolisieren in einer weniger verklemmten Zeit den Abfall dem
man sich ohne Ekel stellen muss, wie Schweiß oder Exkremente. Zudem sieht
man es als Kniefall, der Geliebten in dienstwilliger Haltung zu Füßen zu
liegen. Man wäre gleichsam nicht mehr, als die Nagelschere eines
gottgeweihten Fußes.

Jemandem die Fußnägel zu schneiden hieße, ihm mit einer Waffe, wie winzig
auch immer, zu Leibe zu rücken.
Wenn Sexualität Krieg ist, ist Liebe Frieden mit rauchendem Geschütz. Zu
mehr als Waffenruhe ist der Mensch ohnehin nicht in der Lage. Er bleibt
er selbst und tritt gleichzeitig aus sich heraus. Er bleibt er, da er,
auch wenn er einen Friedensvertrag schließt, seine kriegssüchtige,
blutgierige Art nicht leugnen kann.

Aus sich heraus tritt er, beschwört er doch, jenen Vertrag für ewig
abgeschlossen zu haben. Unzertrennlich ist die Liebe mit großen Worten
wie Hingabe, Frieden, Ewigkeit verbunden. Und doch gibt es keinen
Bereich, wo die Diminutive so im Schwung sind – Liebchen, Küsschen,
Dellchen. Fußnägelchen.

Auch lässt sich die Liebe, obschon als so himmlisch angesehen, mit
Wohlgefallen in irdische Begriffe fassen. Wir können der Geliebten die
Worte von ihren honigsüßen Lippen trinken, wir können ihre Rundungen
anbeten, wir können uns paradiesisch in ihre göttliche Umarmung
niederlassen, die Sterne vom Himmel pflücken, die goldenen Funken in
ihrer Iris zählen, aber auch einfach ihre Fußnägel schneiden.
Die niedere Gebärde besudelt nicht, nein, sie erhöht eher den Glanz
unserer Liebe. Denn – ein Paradox mehr – wir gehen erst mit Liebe
schwanger wenn wir uns selbst völlig verloren haben. Wen wir lieben –
dieser Andere – er hat Besitz von uns ergriffen. Wir schauen durch die
Augen des Anderen, fühlen mit den Händen des Anderen, leben im Körper des
Anderen.

Wir schneiden unsere Fußnägel selbst.
Es herrscht ein dröhnender Frieden. Wehrlos sind wir unserem eigenen
Sperrfeuer ausgesetzt. Und indem wir uns selbst verloren haben – wo enden
bloß die ganzen Widersprüche? – sind wir im vollsten Besitz aller unserer
Fähigkeiten. Die Verse sprudeln vollkommener aus unserer Feder, die
Körperbewegungen sind runder und lauterer, wir tun stets das Richtige.
Es kommt uns kein buckliger Zwerg in die Quere und keine Dissonanz
kriecht uns ins Ohr, unser Sinn für Humor und die Absurditäten der
Existenz hat den höchsten Grad an Verfeinerung erreicht, und alles was
wir an Güte besitzen, strahlt uns von der Stirn, sogar die Güte, die wir
nicht besitzen.

Wir wären, würde es uns angerechnet, unerträglich, beate Idioten. Aber es
kann uns nicht angerechnet werden. Wir sind ein Anderer. Wir sind
glückselig ohne Gewähr.

Wir sind verliebt.

Wie lange dauert dieser Zustand an? Für viele vielleicht nicht länger als
ein Fußnagel braucht um wieder nachzuwachsen. Für mich ist es der
Zustand, indem ich fast unaufhörlich verkehre. Ich bin verliebt in die
Liebe. Es bewirkt, dass ich morgens beim Aufwachen dem Tag nicht voller
Abscheu entgegensehe. Es bewirkt, dass ich mir tagsüber selber
komplimentös zunicken kann, ohne jede Form von Eitelkeit.
Es bewirkt, dass ich abends ohne Angst und Pein einschlafe.

Oh weh, wenn die Liebe mich eines Tages im Stich lässt. Ein einsamer
Asteroid wäre ich dann, einer Nagelschere gleich, schwebend zwischen
Hämisphären, verwirrt auf der Suche nach ihrem geliebten Zeh.

Love

A good test of true love, Barbellion or someone similar once said, is whether you could bear the thought of cutting your lover’s toenails.

This is indeed a quotable image. Toenails, in a less uptight time, symbolise the rubbish that you have to face without disgust, like sweat or excrement. Moreover, it is seen as a prostration to lie at the feet of the beloved in an attitude of service. One would be no more than the nail scissors of a foot consecrated to God.

To cut someone’s toenails would be to attack them with a weapon, no matter how tiny. If sexuality is war, love is peace with a smoking gun. Man is not capable of more than a ceasefire anyway. He remains himself and at the same time steps out of himself. He remains himself because, even if he concludes a peace treaty,
he cannot deny his warlike, bloodthirsty nature.

He steps out of himself, swearing that he has concluded that contract forever. Love is inseparable from great words like devotion, peace, eternity. And yet there is no other area where the diminutives are in such swing – sweetheart, little kiss, little dell.

Little toenails.

Love, although considered so heavenly, can also be summarised with pleasure in earthly terms. We can drink our beloved’s words from her honey-sweet lips, we can worship her curves, we can settle paradisaically into her divine embrace, pluck the stars from the sky, count the golden sparks in her iris, but also simply clip her toenails.

The lowly gesture does not sully, no, it rather increases the splendour of our love. Because – one more paradox – we only become pregnant with love when we have completely lost ourselves. Whom we love – this other – has taken possession of us.

We look through the eyes of the other, feel with the hands of the other, live in the body of the other.

We cut our own toenails. There is a roaring peace. Defenceless, we are exposed to our own barrage. And having lost ourselves – where do all the contradictions end? – we are in full possession of all our abilities. The verses flow more perfectly from our pen, the body movements are rounder and louder, we always do the right thing.

No hunchbacked dwarf gets in our way and no dissonance creeps into our ears, our sense of Humor and the absurdities of existence have reached the highest degree of refinement, and all the goodness we possess shines from our foreheads, even the goodness we do not possess.

If it were credited to us, we would be unbearable, besotted idiots. But it can’t be counted against us. We are an Other. We are blissfully unaware.

We are in love.

How long does this state last? For many, perhaps no longer than it takes a toenail to grow back. For me, it is the state in which I am almost constantly in love. I am in love with love. It means that when I wake up in the morning, I don’t look at the day with disgust. It means that I can nod to myself complimentarily during the day without any form of vanity. It means that I fall asleep at night without fear and pain.

Oh woe, if love lets me down one day. I would then be a lonely asteroid, like a pair of nail scissors, floating between hemispheres, confusedly searching for her beloved toe.

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